WIDUKIND - COLD BLACK SUMMER

W I D U K I N D

Carsten Klatte spricht mit Dan Davis über das

neue Album "WE DO KIND", die "Corona-Krise", Löschpolitik

und Zensur - was er in diesen Zeiten erlebt hat, Musik,

Informationskrieg und Joseph Beuys


Hallo Carsten. Wir schreiben das Jahr 2021, und es gibt ein neues WIDUKIND-Album mit dem bezeichnenden Titel „We do Kind“. Erst mal Gratulation. Es ist fantastisch geworden! 

Vielleicht kannst Du ein paar einleitende Worte zu dem Werk sagen, und was diesmal Deine Inspiration war.


Ich denke, das Album war eine Art künstlerischer Reflex. Die ersten Songs entstanden direkt nachdem wir in Berlin wohl als das letzte Theater, das Atze Musiktheater in Berlin, die Türen schließen mussten, 

obwohl wir ein privat-rechtliches Haus waren, also nicht weisungsgebunden waren, wie die öffentlich-rechtlichen. Wir standen morgens, es ist ein Kinder- und Jugendtheater, einfach vor leeren Rängen, 

denn auch die letzten, die noch vorbestellt hatten, kamen nicht, aus Angst vor der angesagten „Seuche“. Vom Pressesprecher bekam ich noch berichtet, wie einige Journalisten angefragt hatten, Interviews

 machen zu wollen, nach dem Motto, „was uns einfiele, die Berliner Kinder zu gefährden“. Man hatte einfach keine Chance mehr. Die einzige Option, die man als Künstler noch hatte war, ins Internet 

auszuweichen, was damals in meinen Augen keine Lösung war (und auch heute nicht ist). Ich startete eine Aktion, welche ich unter dem Hashtag #artmigration kennzeichnete, mit der Hoffnung, dass sich 

einige Künstler anschließen würden. Ich versuchte zu kommunizieren, dass Kulturschaffende nun den Status von Migranten hätten, denen man quasi zuwies, ein virtuelles „Leben“ im Netz zu fristen und dass 

das Netz nur „die Route“ sein könnte, niemals das Ziel. Ich war sehr argwöhnisch und misstrauisch zu dieser Zeit, weil ich irgendwie das Gefühl hatte, es würde nicht „mit rechten Dingen“ zugehen.

Ich bekam jedoch sehr schnell den Eindruck, dass meine Initiative seitens der Kollegen weder verstanden, noch gewollt war, so machte ich einfach noch ein, zwei Widukind Nummern und stellte sie ins Netz. 

Der Gipfel war das Video zu „Let the people sleep“, nachdem ich irgendwie erkannt hatte, dass da nichts mehr zu machen ist. Ich zog mich erstmal zurück.


Am Ende des Jahres 2020 veröffentlichte ich ein Shakuhachi Instrumental Album mit dem Titel „Hikikomori 2.0“ im Netz, da ich irgendwie dachte, es machte keinen Sinn mehr, Songs mit Texten zu verfassen, 

inmitten eines „Meinungswirrwarrs“, den wir ja seitdem  haben und dass auch keiner mehr einen „Lehrer“ oder „Hofnarren“ mehr bräuchte, da eine, wie ich es nannte „Attacke auf die

 Wirklichkeit“ stattgefunden hatte, die sich wirklich gewaschen hatte.


Das revolutionärste war es für mich, nur noch Instrumentalmusik zu machen, da der Hörer dabei 360 Grad Entscheidungsfreiheit hätte, selbst zu definieren, wohin er die Musik packen möchte und, da die 

Anspannung bei den Menschen extrem hoch war, nicht auch noch den Finger in eine Wunde zu stecken, sondern eher neurologisch beruhigend einzuwirken. Ende 2020 jedoch traten dann doch noch ein, 

zwei Menschen an mich heran, mit der Sehnsucht nach Zusammenhalt, in der Art, wie es die Subkultur früher einmal war, unter anderem auch mein Verleger, der auch Kulturförderung bekam, 

welche ich als Künstler in der Art nicht bekommen hätte, da in den Geschäftsbedingungen des Programms „Neustart Kultur“ schon stand, man dürfte dem Narrativ der Regierung nicht widersprechen 

mit seinem Projekt, was auf Widukind definitiv nicht zutraf.


Ich spürte einen Zusammenhalt und eine Solidarität, die mich ermutigte, alles wieder „hochzufahren“ und produzierte dann, in der ersten Jahreshälfte 2021 alles aus. Diesmal, da es mir am schwersten fiel, 

ein Essay zu verfassen, auch mit einigen Zeichnungen, insgesamt sind es fast 80, wobei einige den Weg ins Buch gefunden haben.



Du hast mir vor Monaten eine Musikdatei unter der Bezeichnung „Seiko“ zugesendet, auf der man Deine ersten „Gehversuche“ mit dem „Panflöten-Ding“ hören konnte. Es ist spannend 

auf dem neuen Album zu hören, was daraus geworden ist. Wie kam es überhaupt dazu, sich dem Instrument anzunähern und es für Dich zu entdecken?


Es ist süß, dass du Panflöte sagst, wenn man das Instrument nicht kennt, liegt diese Assoziation auch nahe. Die Flöten auf dem Album heißen Shakuhachi, das ist eine japanische Bambusflöte und Ney, 

eine arabische, ähnlich gemachte Flöte.


Ich fing vor ein paar Jahren an, da ich irgendwie ermüdet war, von westlicher Musik, mich mit japanischer „Musiktheorie“ auseinanderzusetzen. Japanische Musik basiert, anders als die westliche, auf dem Prinzip 

der Imperfektion. Jeder Klang in einem japanischen Orchester repräsentiert einen Aspekt aus der Natur. Es gibt sogar Instrumente, welche das „vom Himmel herabfallende Licht“ tonal umsetzen. So ist ein 

japanisches Orchester immer ein Abbild der Natur oder der darin befindlichen Ordnung. Da ein Klang in der Natur nicht unbedingt „rein“ ist, ist das ungerade oder imperfekte der Ursprung der Musik. 

Ein Shakuhachi ist eine Bambusflöte, welche den Wind in den Bambuswäldern abbildet. Sie hat eine einzigartige Tradition in Japan, wurde fast 300 Jahre lang nur von einer bestimmten buddhistischen 

„Sekte“, was in Asien eine andere Bedeutung hat, als im Westen, gespielt und fand so ihren Weg in den Zen-Buddhismus, wo sie auch als Utensil zur Meditation eingesetzt wird. Ich hatte mich schon in 

Jugendjahren in ihren Klang verliebt und entschied mich irgendwann, sie in meine Instrumentenfamilie zu „adoptieren“. Leider verließ mein Lehrer zu Corona Zeiten Europa und ging nach Japan, wo er

 bessere Lebensumstände hat, so dass ich die klassische Ausbildung, die klassischen Stücke in Japan werden „Honk Yoku“ genannt, bisher nicht zu Ende bringen konnte. Ich habe aber die meisten 

Grundtechniken, dank ihm, erlernen dürfen und kann sie, von daher, bedienen. Vielleicht schaffe ich es ja auch noch irgendwann, mein japanisches Musikstudium auf diesem Instrument 

abzuschließen. Wer weiß....



Das Album passt natürlich durch seine Tiefe in die aktuelle von Katastrophen gebeutelte Zeit. In wie weit hat zum Beispiel „Corona“ Deinen ganz persönlichen Alltag mit beeinflusst?


Corona, bzw. die daraus erfolgten Restriktionen haben mein Leben völlig umgekrempelt. Es ist quasi kein Stein auf dem anderen geblieben. Bei 11 Suiziden von Kollegen hörte ich auf zu zählen. Keine „größere“ 

Show fand seitdem statt, einzig ein Festival habe ich bespielt, wo auch keine Stimmung aufkam, weil, sobald die Leute tanzen wollten, sofort die Security einschritt, die wiederum von der Polizei überwacht wurde. 

Als ich mich beim Veranstalter beschweren wollte, wurde mir gesagt, die Strafen, die da verhängt hätten werden können, gingen weit in den 100 000er Bereich. Sowas nenne ich Plankultur. Seitdem ist die Branche

gespalten. Die einen sind froh, wenn ihnen mal „der kleine Finger“ gereicht wird, die anderen fürchten um die Freiheit und Meinungsfreiheit, wie auch im Fall einiger Journalistenkollegen, die mittlerweile das 

Land verlassen haben, um weiter berichten zu können und keinen IBAN Zahlungsverkehr mehr betreiben können, da sie als „persona non grata“ denunziert wurden. Kultur ist tot. Der Rest ist Leichenfledderei. 

Es ist sehr schwer, da einen angemessenen Umgang zu entwickeln. Für alle Beteiligten.


Als ich den Track „How dark is the Sun” und das ganze neue Material zum ersten Mal gehört habe, kamen mir sogleich bei deren Umsetzung Erinnerungen an alte SWANS-Zeiten, wie zum Beispiel (wie ich

 finde) an das grandiose „White light from the mouth of infinity“-Album aus den neunziger Jahren, hoch. Was gibt es zum Beispiel zu dem Song „How dark…“ von Dir zu berichten?

Dass es manchmal um grössere Fragen geht und dass, wenn du die eigentlichen Fragen im Leben geklärt hast, die um Leben und Tod, du auch einen Standpunkt einnehmen kannst, den du dich 

vielleicht sonst nicht trauen würdest, einzunehmen, aus Angst vor Repressalien.



Wie lange hast Du an „We do Kind“ gearbeitet und was unterscheidet es Deiner Meinung nach am meisten von den anderen WIDUKIND-Veröffentlichungen?


Wie gesagt, ich startete im März 2020 und beendete es im April/Mai/Juni 2021. Das was anders ist, ist, dass ich zum Beispiel ausschließlich englische Texte verwende, da es, den Umständen geschuldet, mehr an ein 

cosmopolitanes, vielleicht auch nur internationales Publikum gerichtet ist, jedenfalls was die Musik angeht. Beim Essay war es so, dass sich, da meine Internetarbeit, zum Beispiel mit dem hashtag#artmigration, 

mir den Vorwurf einbrachte, ein potentieller „Gefährder“ zu sein und Zensur ja erheblich um sich greift, seitdem, dass ich mir einen anderen Umgang mit dem Wort erschloss.


Nicht (nur) der Zensur wegen, sondern auch, weil ich verstand, dass in einem Informationskrieg, indem die Menschen ausgebrannt werden, es hauptsächlich der Heilung und der Versöhnung bedarf. Der 

„enfant terrible“, der sein Publikum provoziert oder gar polarisiert, hat definitiv ausgeschissen. Es werden jetzt Lösungen gebraucht, welche, meiner Meinung nach, spiritueller Natur sein sollten. Eben die 

„großen Fragen des Lebens“, welche es zu klären gilt, damit man diesen „Scheiß“, der sich vor unseren Augen ausrollt, irgendwie weitestgehend unbeschadet überlebt.



Du bist ja ein zeitkritischer Geist, hast in der Vergangenheit bei Bands wie Cassandra Complex, Project Pitchfork und vielen anderen Bands mitgewirkt, mit diesen Alben aufgenommen und bist mit ihnen auf 

Tour gegangen. Wie sehr hat Dich die Zeit mit Pitchfork und Cassandra Complex heute rückblickend geprägt?


Der Geist des „Independent“ schlägt in meiner Brust. Ich bin in dem Sinne ein Überlebender, als dass ich mich nicht habe korrumpieren lassen vom Geschäft. Es war immer unser Anspruch, das größt 

möglichste Maß an Freiheit zum Ausdruck zu bringen und auch selbst zu leben. Dass das für viele, am Ende, darin mündete „Groupies zu knallen“ oder heute Herz/Kreislauf Pillen zu klinken, weil man in 

seinem Leben zu viel „gesoffen“ hat, ist nicht mein Problem.


Damals, als man anfing, hatte man noch sowas wie „Sendungsbewusstsein“, was im Laufe der Jahre irgendwie ritualisiert oder routiniert wurde und dadurch abgestumpft wurde. Sicherlich war es schön, 

Geld damit zu verdienen, aber leider war es auch das Geld, was die Sache verwässerte. Der Event trat immer mehr in den Vordergrund, bis der Inhalt unkenntlich wurde. Ich bin froh, da eine Ausnahme darzustellen, 

was sicherlich auch dazu führte, dass meine eigenen Projekte weniger erfolgreich waren, im monetären Sinne, aber das ist mir heutzutage eigentlich ziemlich egal. Geld ist nicht alles auf dieser Welt. Die Stärke, 

mir so etwas auf „die Fahne“ zu schreiben, stammt sicherlich irgendwie aus meinen Anfangsjahren, mit besagten Bands, von denen du sprichst.



Mit welchen/m Musiker/n verbindest Du ganz besonders schöne Erinnerungen, und warum?


Du wirst lachen, aber einer meiner absoluten Lieblingskollegen ist definitiv Heinz Rudolf Kunze. Ich hatte die Ehre, ihn auf seinen Lesetouren als Gitarrist zu begleiten und denke heute noch richtig gerne an diese Zeit 

zurück. Heinz ist nun einer der ganz altvorderen. Alle aus seiner Generation haben dich immer auf Augenhöhe. Die „Generation“ danach hatten häufig eine hierarchische Attitüde, in meinen Augen einfach nur 

arrogant und bedeutungslos. Ich fuhr mit Heinz in einem -8er durch Deutschland und wir hörten Devo und Joy Division. Ich quatsch heute noch gerne mit ihm. Er hätte, so sagte er mir 2020, das Jahr gehabt, 

mit seinen meisten Live Shows ever...


WIDUKIND - ROT

Du hast mir verraten, dass Deine Meinung heute zu aktuellen Themen, die uns alle bewegen (sollten), nicht immer geteilt wird, Du manchmal – wie viele andere auch - auf Widerstand triffst, 

der sogar dahin ausartet, Dir nahezulegen, es wäre gefährlich, sich in dieser oder jener Art zu äußern. Warum kannst Du trotzdem Deine Klappe nicht halten und machst den Mund auf, auch wenn 

es vielen nicht zu passen scheint?


Ich las irgendwann mal, Anfang der 90er Jahre in einer Infoschrift der Hochschule der Künste Berlin, den Satz, „der Künstler habe die Aufgabe, die Masse individuell zu spiegeln.“ Ich glaube, 

ich hatte da einen intuitiven Zugang zu. Sofort. Der Künstler hat eine Aufgabe.


Ich bin ja auch großer Freund von Joseph Beuys und seinem erweiterten Kunstbegriff, das kannst du ja alles in meinen Widukind Essays nachlesen. Beuys hat die Kunst für beendet erklärt 

und sie damit auf eine neue Stufe erhoben, was seitdem weder verstanden, noch umgesetzt wurde, zumindest größtenteils. Er sprach von der „Sozialen Plastik“.


Das „soziale Plastinieren“, im Sinne eines „Bildhauers“, ist das Bauen an der Gesellschaft. Dafür solltest du Mensch werden und bleiben, also mit dem Natürlichen synchronisieren und dann einfach

deinen Job machen. Da ist eigentlich nichts Ungewöhnliches bei. Schön, wenn das „belohnt“ wird, wenn nicht, auch gut. Es ist „nur ein Job“.


Erst ist der Mensch, dann die Gesellschaft. Ist das mal anders herum, dann ist es das „System“. Aber das System dient den Menschen, nicht umgekehrt, so war es gedacht. Wenn sich das ändert, 

was es ja anscheinend dabei ist zu tun, dann zerfällt auf kurz oder lang alles, sicherlich der Mensch, aber auch das System. Sich, im beuys´schen Sinne, mit der Natur zu synchronisieren, bedeutet ehrlich 

zu sein. Ehrlich zu sein geht da los, dass du erstmal ehrlich zu dir selbst bist, was das Schwierigste ist, was ein Mensch leisten kann, in einem System, in einer Gesellschaft.



Du bist ja auch in gewisser Weise ein Künstler, der sich nicht in irgendwelche Schranken weisen lässt. Bist in der Vergangenheit mit der heute als „Anonymous-“ bekannt gewordenen Maske aufgetreten, 

die ja eigentlich ihren Ursprung in dem systemkritischen Film „V – wie Vendetta“ der Wachowski-Brüder (u.a. „Matrix“, „Cloud Atlas“, „Jupiter Ascending“ u.v.m.) hat, du malst Bilder und vor allem bist Du

in gewisser Weise auch als Autor tätig, wenn man zum Beispiel die Schriften herannimmt, die zu den WIDUKIND-Veröffentlichungen publiziert wurden. Gab es ein bestimmtes Erlebnis, einen Auslöser, 

der Dich in der Vergangenheit dazu brachte, Dinge zu hinterfragen und nicht als gegeben so hinzunehmen, wie sie uns als Wahrheit verkauft werden?


Ich glaube, das war schon immer so. Früher ging alles los mit den Hausbesetzungen der 80er Jahre, damals noch in Norddeutschland. Für mich, als ich 14 war, erschien es so, dass, wenn Punks da schon 

über 40 waren und Kinder hatten, der Begriff „Subkultur“ unpassend war. Für mich war das Kultur. Diese Altpunks damals, die wegen den Friedens- und Anti AKW Demos den „schwarzen Block“ begründeten, 

damit irgendwelche „Muttis“ nicht von der Polizei verdroschen wurden, hatten irgendwie eine „schützende Hand“ über uns alle. Ich hatte mal bei einer Räumung sehr viel Angst und wurde sehr behütet von denen.

Ich stand ein paar Stockwerke höher mit einem Megaphon und röhrte da mit einer Mundharmonika rein, um den Pulk anzufeuern. Da wusste ich, dass ich Teil einer Kulturbewegung war und nicht einfach nur 

Subkultur. Das ist sicherlich nicht zu vergleichen mit dem, was heute so als linke Szene bezeichnet wird. Das war Punk. Etwas völlig anderes. Da ging es um geistige und reale Freiräume und die Bereitschaft 

sie zu erkämpfen. Das waren meine „Kinderschuhe“. Das ganze Gedöns um rechts und links kam erst Jahre später auf. Damit hatte ich dann nichts mehr zu tun. Ich glaube diese Kinderstube und ein irgendwie

 immer wieder durchkommender Hang zur Gerechtigkeit, lassen mich da bis heute aktiv werden, wobei ich sagen muss, gerade in den letzten 2 Jahren, auch vieles in Frage zu stellen, immer wieder. 

Ob es (noch) Sinn macht oder ob es einen nicht einfach nur gegen die Wand fährt, wie alles andere.



Ein paar Worte zu dem neuen Video "COLD BLACK SUMMER"  aus „We do Kind“?


Das Video habe ich zusammen mit Ronny Zeisberg und Sophia Saggau gedreht. Ich hatte auch eine wunderhafte, zauberbare Musikerin mit dabei, Jenny Simmank, die ich die Ehre hatte, 

damals vor 10 Jahren bei der Band Staubkind kennen lernen zu dürfen. Ein wunderbarer Mensch!



Kannst Du etwas mehr zu dem Track „Back to nothing…“ verkünden?


Back to nothing ist eine kryptische, poetische Abhandlung über unsere Zeit und einer, für mich daraus resultierenden Bioüberlebensstrategie. Sie heißt Daoismus. Im Daoismus gibt es einen Begriff, 

namens Hun Dun, das Chaos. Es ist das ursprüngliche Chaos, das aus dem alles entsteht. Die Chinesen sagen, Ordnung und Gerechtigkeit kommen nicht zusammen, da Ordnung etwas zu Ungunsten 

von etwas anderem herausstellt. Gerechtigkeit kann so nicht passieren. Gerechtigkeit, im Sinne einer natürlichen Balance, wird durch das Chaos erzeugt, welches dem ordnenden System automatisch folgt. 

Das ist das Spiel der Dualität, welches sich im Tai Chi Te, dem, was wir als das Yin und Yang-Zeichen kennen, wiederspiegelt. Yin und Yang, als die wechselseitigen Polaritäten des Universums entstehen 

aus dem Nichts, was im chinesischen Wuji genannt wird. Ein polares Spiel entsteht aus dem Nichts (Wuji) und kehrt zu ihm zurück. Back to nothing.


Auch ist es so, dass die Chinesen sagen, man solle sich um Wuji kümmern, das Spiel von Yin und Yang kultivieren, was zum Beispiel durch das Praktizieren des Tai Chi Chuan passiert, jedoch alles weitere, 

was aus dem Spiel von Yin und Yang entsteht ignorieren, da es sich eh wieder auf Yin und Yang reduziert und in das Wuji zurückkehrt. Sie nennen das die 10 000 Dinge. Sie entstehen aus denselben

Prinzipien, sind von daher zu vernachlässigen, da man sich in ihnen eh nur verwirrt und sie, sobald das Prinzip des Spiels der Dualität erkannt wird, zu ihrem Ursprung zurückkehren. Back to nothing.



Viele nehmen in diesen Tagen erstmals das Wort „apokalyptisch“ in den Mund, wenn sie auf die Ereignisse der letzten Monate, die aktuelle Flutkatastrophe in Teilen des Landes, Corona, aber auch 

viele Ereignisse in anderen Ländern überall auf dem Planeten, blicken. Aber egal, wie man dazu steht, hast Du einen Rat für Deine Hörer, Dinge anders oder vielleicht besser zu machen?


Ich glaube diese Zeit bietet eine einmalige Chance, sich seiner selbst bewusst zu werden. Der Mensch ist souverän. Selbstbestimmung/Fremdbestimmung. Noch nie war die Chance, sicherlich auch der Druck, 

so groß, sich dessen bewusst zu werden und dann entsprechend zu handeln. Es gibt dieses Bild aus der Psychologie. Drei Kreise, ein innerer, ein mittlerer, ein äußerer. Der innere ist die Komfortzone, der mittlere die 

Angstzone, der äußere die Erlebniszone. Das System, also auch das Ego, möchte, dass man in der Komfortzone verweilt, deshalb wird die Angstzone ja auch so „hochgefahren“. Das hört sich erstmal 

gut an, weil es Komfortzone heißt, aber das bedeutet nichts.


Es bedeutet einfach nur, dass das der Ort ist, wo man sich halt eingerichtet hat, Träume werden da geträumt, gelebt werden Träume jedoch in der Erlebniszone, welche durch die Angstzone von der 

Komfortzone getrennt ist. Seinen Ängsten entgegenzutreten ist nicht schlimm, es ist nur Angst. Sie verhindert, zu verstehen, dass man jenseits seiner eigenen Angst auch noch existiert.

Wenn man das erstmal verstanden hat, hat man die Möglichkeit, sich seiner Angst zu stellen und in die Erlebniszone zu gelangen, wo man dann sein Potential erst richtig zur Entfaltung bringt. 

Mit diesem Bild ist eigentlich schon alles gesagt, es besagt, wie Politik funktioniert, es besagt, wie die Psychologie dahinter funktioniert und es besagt auch, dass, wenn du nicht aus deiner

 Komfortzone raus willst, es eben eine große Katastrophe geben wird, eine Not-wendigkeit, die dich dann in deine Erlebniszone katapultiert.


Das ist heutzutage gar nicht mehr so schwer zu verstehen. Wichtig ist, nicht zu denken, die Angst allein könnte dich töten. Die Angst an sich ist ein uralter Instinkt, welcher heutzutage dazu

missbraucht wird, Menschen zu manipulieren.


Angst ist aber nicht tödlich. Impfen ist tödlich, oder kann es sein.


Anderen blind zu folgen ist tödlich, oder kann es sein.


Am Ende stirbt der Mensch eigentlich sowieso. Wenn er jedoch in seiner Komfortzone stirbt, tut er das, ohne jemals gelebt zu haben. Die Frage ist, wie viel Leid man noch ertragen 

möchte oder muss, um das zu ändern.

WIDUKIND - COLD BLACK SUMMER

Wenn Du die Politik und Gesetze der letzten Jahre / Jahrzehnte u.a. in Deutschland betrachtest – was war besonders schlecht - oder gut?


Politik und Gesetze sind eigentlich niemals gut. Auch gibt es einen Unterschied zum Recht. Ich selbst bin kein Freund von Politik, erachte mich auch eigentlich nicht als politisch, selbst wenn ich 

durch diese Aussagen hier sehr politisch zu wirken scheine. Politik ist irrelevant, weil sie externalisiert ist, genauso verhält es sich mit Gesetzen.


Internalisiert betrachtet sehe ich freiwillige Selbstkontrolle, bzw. Innenschau, basierend auf natürlichem Recht. Wenn ein Mensch das versteht, versteht er auch, dass das, was er nicht will, dass man es 

ihm antut, auch keinem anderen Menschen passieren sollte.


Da sind wir alle gleich oder eins.


Also ergäben sich daraus Menschenrechte. Die Frage, wie gut eine Gesellschaft funktioniert, sollte daran bemessen werden, wie solche Rechte geachtet und umgesetzt werden. So wie ich ja schon sagte, 

dient ein System dem Menschen und nicht umgekehrt, weil es aus ihm, dem Menschen, entstanden ist. Wenn sich das in sein Gegenteil verkehrt, ist das das Ende des Menschen, dadurch aber auch das Ende 

des aus ihm entstandenen Systems.


Definitionen wie „die Masse“, die „Gesellschaft“ sind an sich eigentlich schon entmenschlicht, weil in ihnen etwas verdinglicht wird, was es eigentlich nicht gibt.

Real sind nur Menschen. Aus ihnen entstehen Dynamiken, welche sich nicht verdinglichen lassen. Das ist bloße Theorie. Ein Tonkrug oder eine Keramik ist ein Ding, durch einen Menschen entstanden. 

Eine Gesellschaft ist eine Theorie. Ein Recht hat man als Mensch. Eine Verordnung versucht Dynamiken zu regulieren, die sich meiner Meinung nach nicht unbedingt regulieren lassen, sofern sie den/die 

Menschen von sich selbst trennen oder entfernen. Ich erinnere an die 10 000 Dinge, das Yin und das Yang und wo das hinführt.



Denkst Du, dass Du es erheblich leichter in Deiner musikalischen Karriere gehabt hättest, wenn Du mehr, wie ein Großteil anderer Musiker es tun, die Klappe gehalten hättest, vielleicht „Sex, 

Drugs & Rock`n Roll“ auch an die oberste Stelle positioniert und gesellschaftskritische Themen überwiegend ausgelassen hättest?


Nein. Ich war nie der Typ für Koks und Nutten. Ich erinnere mich an Momente, wo Mr. John Caffrey vor mir stand, irgendwann mal in Köln, mir auf die Schulter klopfte und mir sagte, so eine inspirierende und 

authentische Performance hätte er die letzten 20 Jahre nicht gesehen. Immerhin war das der alte Joy Division Produzent, der das sagte. Sowas war damals für mich wie ein Ritterschlag. Von solchen 

Anekdoten könnte ich dir jetzt noch eine Menge erzählen. Es gibt einfach Dinge, die kann man nicht mit Geld bezahlen. Ich hatte mich entschieden, und das war gut und sinnvoll.



Würdest Du heute rückblickend etwas anders machen?


Nein.


Gibt es einen Song auf dem neuen Album, der Dir besonders am Herzen liegt?


Eigentlich sind die Songs alle „handverlesen“. Ich bin auch immer ein Freund der Konstellation, also das Zusammenwirkens der einzelnen Lieder im Gesamten. 

Ich finde, das Album ist sehr ausgewogen.



Wenn Du Bundeskanzler wärst in der „WIDUKIND-Partei“, dann würdest Du als erstes was machen?


Alles auflösen und zurück zur Stammeskultur. ;)



Kommen wir nochmals zurück zur Musik. Welche Musiker haben Dich in den letzten Jahren mit ihren Werken am meisten bewegt – und warum?


Ich habe mich in den letzten Jahren zwischen Jazz, Black Metal und japanischer Musik bewegt, da ist es schwer, einzelne Musiker hervorzuheben. Oft waren es eher Songs, als ganze Alben, 

denen ich etwas abgewinnen konnte. Ahmet Ihvani, ein türkischer Musiker, war da auf meiner Playlist, genauso wie Maryam Saleh, eine ägyptische Künstlerin. Von den deutschen Projekten war es die Erfurter 

Band December Noire, eine Metal Band, die ich teilweise schwer gefeiert habe oder öxxö xööx aus Frankreich. Auch die Rapbellions haben mich beeindruckt, wie man mit einer 7 Minuten-Nummer innerhalb 

von ein paar Stunden im Netz überrall auf Platz eins gelandet ist, bevor man zensiert wurde. Am ehesten jedoch landete immer traditionale japanische Musik bei mir im Player. 

Das hat mich immer schwer deeskaliert.



Was wünschst Du Dir für die Zukunft?


Ich bin in Gedanken gerade bei STAR WARS. Bei der Szene, wo Luke Skywalker den Autopiloten ausschaltet.  

Ich wünsche mir, dass Skywalker endlich mal diesen dämlichen Todesstern zerballert.


Und dass die MACHT mit uns ist.


ALBUM "WE DO KIND" BESTELLEN:

(ROCKPLANET, 05.08.2021)

Copyright Bilder: by WIDUKIND

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